Annemarie Schimmel
Annemarie Schimmel (1922-2003) war eine renommierte deutsche Islamwissenschaftlerin, Mystikerin und Orientalistin, die sich intensiv mit dem Islam auseinandersetzte und zahlreiche Werke zu islamischer Theologie, Mystik und Kultur in verschiedenen Sprachen verfasste. Sie kritisierte die verzerrte Darstellung des Islam, der Muslime und des Heiligen Propheten (s.) im mittelalterlichen Europa. Annemarie Schimmel hielt gegen die Veröffentlichungen von "Die Satanischen Verse" und "Nicht ohne meine Tochter" Stellungnahme, während einige Gelehrte der Meinung sind, dass ihr Verständnis über den Islam und die schiitische Konfession nicht vollständig der Realität entsprach. Ihre Arbeiten fanden im Iran jedoch Aufmerksamkeit und Gedenkfeiern ihr zu Ehren wurden abgehalten.
==Leben und Bildung==
Annemarie Schimmel wurde am 7. April 1922 in Erfurt als Tochter einer evangelischen Familie geboren.[1] Schon in jungen Jahren entwickelte sie großes Interesse für die Welt des Ostens und den Islam, begann im Alter von 15 Jahren die Arabische Sprach zu erlernen und lernte Teile des Korans auswendig. Einige Jahre später erweiterte sie ihre Sprachkenntnisse um Persisch und Türkisch.[2] Sie schloss ihr Studium im Bereich orientalischer Sprachen und in islamischer Kunst an der Universität Berlin im Alter von 19 Jahren ab und promovierte 1951 an der Universität Marburg in Religionsgeschichte.[3]
==Wissenschaftliche Merkmale und Zuständigkeiten==
Im Jahr 1952 zog Annemarie Schimmel in die Türkei, wo sie den Lehrstuhl für Geschichte und Prinzipien der Religionen an der theologischen Fakultät von Ankara übernahm. 1965 wechselte sie an die Harvard Universität, um den Lehrstuhl für indisch islamische Kultur zu bekleiden.[4] Sie lehrte viele Jahre lang islamische Theologie, Religionsgeschichte und Sufismus an Universitäten in Deutschland, der Türkei und den USA.[5] Schimmel beherrschte die Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch, Persisch, Französisch und Urdu und veröffentlichte Werke in einigen dieser Sprachen.[6] Sie verstarb am 26. Januar 2003 und wurde in Bonn im Beisein von nahezu 700 Muslimen und Christen aus verschiedenen Ländern beigesetzt.[7] Auf ihrem Grabstein ist in Nastaliq-Schrift folgender Satz eingraviert: "Die Menschen schlafen und wenn sie sterben wachen sie auf." Dieser Satz wird dem Propheten des Islam (s.) und[8] Imam Ali (a.)[9] zugeschrieben.
==Gedanken==
Die verzerrte Darstellung des Islam und des Schiismus
Annemarie Schimmel vertrat die Ansicht, dass das Bild, das das mittelalterliche Europa vom Islam, den Muslimen und dem Heiligen Propheten zeichnete stark verzerrt war.[10] Sie war der Überzeugung, dass ihre Sichtweise bezüglich des Islam und der muslimischen Kultur sich erheblich von der anderer Orientalisten differenziert, da sie in muslimischen Dörfern lebte, mit den Muslimen interagierte und umfangreiche Informationen sammelte.[11] Darüber hinaus verteidigte sie das Schiitentum und legt dar, dass Schiiten im Gegensatz zu den ihnen gemachten Vorwürfen, den Wert und die Gültigkeit der Sunna, die Worte und Taten des Propheten (s.) nicht infrage stellen und in manchen Fällen sogar mehr anerkennen als die Sunniten.[12]
Methode der Religionsforschung
Laut Annemarie Schimmel ist der phänomenologische Ansatz der beste Weg den Islam zu verstehen, und der einzige, um zu den Gemeinsamkeiten der Religionen zu gelangen.[13] Beim Studium ihrer Werke wird deutlich, dass die von Forschern wie Henry Corbin angewandte Methode für das Verständnis der Ansichten islamischer Strömungen hauptsächlich auf klassischen Quellen und den Werken großer Denker dieser Sekten basieren, aber in einigen ihrer Werke achtet Annemarie Schimmel mehr auf mündliche Erzählungen und ihre Beobachtungen bezüglich gemeinsamer Bräuche und Traditionen unter den Menschen, wenn es darum geht islamische Gedanken auszudrücken.[14]
Stellungnahme gegen Salman Ruschdie
Anne-Marie Schimmel war eine der Kritiker von Salman Ruschdie und seinem Werk 'Die Satanischen Verse', als die Apostasie-Fatwa gegen ihn erlassen wurde und äußerte, dass Ruschdies Buch die Gefühle der Muslime verletzt habe. Diese Äußerungen führten zu starken Angriffen auf sie bis hin zu den Vorwürfen, sie sei ein Agent der Islamischen Republik Iran.[15]
An einer anderen Stelle erklärt sie sinngemäß, sie kritisiere diese Äußerungen und verurteile sie aufs Schärfste. Die Interessengruppen, die mit Salman Ruschdie verbunden sind, könnten sie nicht einschüchtern und der Prophet des Islam würde im Westen nicht angemessen anerkannt. Allerdings lehnte sie die Fatwa von Imam Khomeini, die zum Mord an Salman Rushdie aufrief, ab.[16]
Stellungnahme bezüglich des Buches "Nicht ohne meiner Tochter"
Anne-Marie Schimmels Haltung gegenüber dem Buch "Nicht ohne meine Tochter" war eindeutig und sehr kritisch. Dieses Buch, verfasst von Betty Mahmoudi, thematisiert und kritisiert die iranisch-islamische Kultur und wurde in großer Zahl in Europa und den Vereinigten Staaten veröffentlicht, wobei es ein negatives Bild des Iran vermittelt. Anne-Marie Schimmel äußerte sich darüber wie folgt:
'Ich habe stets meine Ablehnung gegenüber dem Inhalt dieses Buches signalisiert... Aufgrund meiner Vertrautheit und Liebe zur iranischen Kultur und Literatur lehne ich den Inhalt dieses Buches bewusst ab... Leider hat die unverantwortliche Propaganda des Westens gegen den Osten und den Islam in den letzten Jahren zugenommen. Als Orientalist empfinde ich es als meine Pflicht die Kultur des Ostens zu unterstützen und die Fakten so darzustellen, wie sie sind.“[17]
Islamische Bittgebete
In einem ihrer Interviews erklärte Anne-Marie Schimmel, dass sie islamische Gebete ohne Übersetzung rezitiert und einige der Gebete aus der Sahifa Sajjadiya ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht hat. Sie erwähnt eine Anekdote bezüglich der Auswirkung der Gebete aus der Sahifa Sajjadiyya auf einen fanatischen Katholiken und ist überzeugt, dass diese Gebete auch auf die westliche Welt Einfluss nehmen können.[18]
=== Interessensgebiete==
Anne-Marie Schimmel zeigte bereits in ihrer Jugend ein ausgeprägtes Interesse an Mystik und Sufismus, wodurch diese Themen zum Hauptgegenstand ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde, insoweit, dass sie davon überzeugt war ihr Leben dem Sufismus gewidmet zu haben.[19] Zu den prominenten und einflussreichen Persönlichkeiten, die Anne-Marie Schimmel prägten, gehören Iqbal Lahuri und Rumi. Sie kannte deren Werke schon seit ihrer Jugend, verfasste mehrere Publikationen dazu und bezog sich in anderen Schriften gelegentlich auf ihre Gedanken.[20]
==Kritik an Anne-Marie Schimmels Wahrnehmung des Schiismus
In einem Abschnitt des Buches "Einführung in den Islam", das im Iran unter dem Titel "Islam aus der Perspektive Anne-Marie Schimmels" veröffentlicht wurde gibt sie einen Überblick über die islamische Geschichte und ihre Lehren, dabei beleuchtet sie eingehend die Geschichte der Schiiten, ihre Abspaltung sowie ihre Glaubensüberzeugungen. Unter anderem befinden sich in diesem Buch Inhalte, die teilweise vom gängigen Glaubensverständnis der Schiiten abweichen. Annemarie Schimmel ist der Ansicht, dass die ursprünglichen theologischen Ideen des Schiitentums nicht auf Imam Ali (a.) und al-Husain (a.) beruhen, sondern betrachtet Muhammad ibn al-Hanafiyya als zentrale Figur des schiitischen Glaubens.[21]
Einige Kritiker äußern, dass Anne-Marie Schimmel in ihren Ausführungen gelegentlich auf nicht authentische Quellen zurückgreift, die sie lediglich bei religiösen Zusammenkünften gesehen oder gehört habe.[22] Manchmal scheint sie die kulturellen Bräuche der Menschen mit der Scharia (dem Religionsgesetz) und den religiösen Praktiken zu verwechseln, wie etwa bei der Behauptung, dass Frauen während der Schwangerschaft der Zutritt zu Schreinen verwehrt sei oder dass das geschmückte Pferd von Dhu'l-Jinnah am Tag von Aschura ein Symbol für das weiße Pferd von Imam al-Mahdi sei.[23]
Nachdem Annemarie Schimmel auf die Jenseitsmythologie im Koran verweist, die der Ursprung einiger Geschichten war, betrachtet sie bestimmte Aspekte des Mahdismus als Beispiele mythologischer Erzählungen. Ihrer Meinung nach entstanden diese Gedanken aus psychologischen Faktoren sowie individuellen und kollektiven Mythen der muslimischen Gemeinschaft.[24]