Der Hadith von Dawat und Qirtas

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Der Ḥadīṯ von Dawāt und Qirṭās (arabisch: حديث دوات و قرطاس) oder der Ḥadīṯ von dem Tintenfass und der Feder bezieht sich auf die Bitte des Heiligen Propheten (s.) auf seinem Sterbebett, ihm Feder und Papier zu bringen, damit er den Muslimen eine Schrift niederlegt, nach der sie niemals in die Irre gehen. Die Bitte des Propheten (s.) stieß jedoch auf den Widerstand des späteren zweiten Kalifen, ʿUmar ibn Ḫaṭṭāb. Er hinderte den Propheten (s.) daran seinen letzten Willen zu Papier zu bringen, indem er behauptete: «Dieser Mann ist nicht ganz bei Sinnen und spricht im Delirium.»

Die Reaktion ᾽Umars auf die Bitte des Propheten (s.), insbesondere seine Worte - Dieser Mann spricht im Delirium – wurde einigen Versen im Qur᾽ān gegenübergestellt und von manchen muslimischen Gelehrten kritisiert. Nach sunnitischen und schiitischen Quellen und Meinungen hält man dieses Geschehen für ein großes Desaster. Nach schiitischer Auffassung beabsichtigte der Prophet (s.) mit diesem Schriftstück Imam ʿAlī (a.) als seinen Nachfolger zu bestimmen.

Vorfall

Nach historischen und narrativen Quellen heißt es, dass der Prophet Muḥammad (s.) am 25. Ṣafar des 11. n.d.H. an seinem seiner letzten Lebenstage um ein Tintenfass und um eine Feder bat, damit er eine Schrift niederlegt, in der er die Muslime davor bewahren wollte, in die Irre zu gehen. Die Bitte stieß jedoch auf den Widerstand einer anwesenden Person und so kam es dazu, dass dem letzten Willen des Heiligen Propheten (s.) nicht entsprochen wurde. Dieser Anwesende sagte doch tatsächlich, dass der Prophet (s.) nicht ganz bei Sinnen wäre, er spräche im Delirium, das Buch Allahs, der Qurʾān, möge uns genügen. Dann kam es zu Auseinandersetzungen unter den Gefährten des Propheten (s.). Einige wiederholten diese Worte, aber andere waren dagegen. Als der Prophet (s.) diesen Streit beobachtete, forderte er sie auf, zu gehen und ihn alleine zu lassen. In meisten Quellen wurde als Opponent der spätere zweite Kalif erwähnt,[1] nur in einigen wenigen wurde sein Name nicht genannt [2]

Laut der schiitischen Gelehrten wollte der Prophet (s.) mit dem Ḥadīṯ von Dawāt und Qirṭās Imam ʿAlī (a.) als seinen Nachfolger bestimmen; doch einige der Anwesenden hatten schnell erfasst worum es ging und verhinderten es.[3] In einem Gespräch mit Ibn ʿAbbās sagte der spätere zweite Kalif ausdrücklich: «Der Prophet (s.) wollte umnebelt von seiner Krankheit ʿAlī (a.) als seinen Nachfolger bestimmen, aber wegen meiner Liebe zum Islam und seiner Erhaltung hielt ich den Propheten (s.) davon ab.» [4]

Quellen

Über dieses Ereignis wurde detailliert in narrativen und historischen Quellen der Schiiten und Sunniten berichtet.

Zu den sunnitischen Quellen zählen: Ṣaḥīḥ von Buḫārī,[5] Ṣaḥīḥ von Muslim,[6] Musnad von Aḥmad,[7] Sunan von Beyhaqī[8] und Ṭabaqāt von Ibn Saʿd;[9] und bei den schiitischen Quellen sind folgende zu nennen: al-Iršād[10] und Awāʾil al-Maqālāt,[11] al-Ġaiba von Nuʿmānī[12] und al-Manāqib von Ibn Šahr Āšūb.[13]

Verschiedene Betrachtungsweisen

Die schiitische Betrachtungsweise

Die schiitischen Gelehrten halten dieses Ereignis für eine große Katastrophe, weil es den Propheten (s.) daran hinderte, seinen letzten Willens niederzulegen, der darauf basierte die Muslime vor der Irreführung zu bewahren.[14] In einigen Erzählungen der sunnitischen Quellen wird erwähnt, dass auch Ibn ʿAbbās das Verhindern der Niederschrift des letzten Willens des Propheten (s.) für eine große Katastrophe hielt.[15] In arabischen Texten wird das Ereignis mit Razīyya Yowm al-Ḫamīs (Unglück vom Donnerstag) bezeichnet.

Hinsichtlich dieses Ereignisses hat Šaraf al-Dīn ʿĀmilī in seinem Buch al-Murāğiʿāt gemäß der Verse des Heiligen Qurʾān eine Reihe vin Einwänden gegen ʿUmar ibn Ḫaṭṭāb erhoben, darunter:[16]

  • ʿUmar hat dem Befehl des Gesandten Allahs nicht entsprochen und ihm somit den Gehorsam verweigert,
  • ʿUmar redet so, als ob er über die Vorteile des Qurʾān besser informiert ist als der Prophet (s), selbst.
  • Er, also ᾽Umar, schreibt dem Propheten (s.) sogar das Delirium zu.

Nach schiitischer Auffassung steht die Reaktion von ʿUmar ibn Ḫaṭṭāb entgegen vieler Qurʾānverse; wie:

  • «و ما آتاكم الرسول فخذوه و ما نهاكم عنه فانتهوا»: Was euch der Gesandte gibt, das nehmt! Was er euch verweigert, davon nehmt Abstand! (Sure Haschr, Vers 7)
  • «ما ضلّ صاحبكم و ما غوى. و ما ينطق عن الهوى. إن هو الّا وحى يوحى» : Vom Wege wurde euer Freund nicht abgelenkt und auch vom Irrtum nicht getrieben. Und er spricht nicht aus eigenem Belieben, es ist nur Eingebung, die ihm geschenkt. (Sure Najm: Verse 2-4)

Sayyid ʿAbd al-Ḥussain Šaraf al-Dīn erwähnte, dass die sunnitischen Muḥaddiṯīn (Ḥadīṯwissenschaftler) mit der Plattidüde «قد غلب عليه الوجع» (Der Prophet ist schwer erkrankt) die Hässlichkeit des Einspruchs von ʿUmar zu verbergen suchten.[17]

Die sunnitischen Betrachtungsweisen

Einige sunnitische Gelehrte verfolgten die Absicht, diesen Vorfall klein zureden, wie:

  • Einige hielten dieses Geschehen (trotz der Erwähnung in großen sunnitischen Quellen wie Ṣaḥīḥ von Buḫārī und Ṣaḥīḥ von Muslim) für schwach und unzuverlässig.
  • Andere wiederum interpretierten das Wort „Hiğr“ mit „verlassen“ und meinten,ʿUmar hätte damit sagen wollen, dass der Prophet (s.) uns verlässt oder dass er eine negative Befragung verlangte, was bedeutete, dass der Prophet (s.) keinen Unsinn sagt.
  • ʿUmars Worte darüber, dass der Qurʾān uns genügt (also, dass der letzte Wille des Propheten (s.) garnicht nötig sei), wäre ein Zeichen seiner genauen Sichtsweise.
  • In einigen Zitaten geht der Sprecher dieser Worte nicht deutlich hervor, es wird auch im Plural ausgedrückt.

Ursache des Verzichtes des Propheten (s.) auf die Niederschrift seines Testaments

Einige schiitische Gelehrte sind der Meinung, dass der Grund dafür, dass sich der Prophet (s.) weigerte zu schreiben, der war, dass es ihn zum einen schwer getroffen hatte und zum anderen nach seinem Tod nichts anderes zur Folge gehabt hätte als Auseinandersetzung und Zwietracht. Hätte er auch etwas geschrieben, würde man dies im Nachhinein als den Unsinn eines sich im Delirium befundenen Menschen darstellen.[18]

Fußnoten

  1. Buḫārī, Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, 1401 / 1981, B.1, S.37, B.4, S.66, B.5, S.137-138, B.7, S.9; Muslim, Ṣaḥīḥ al-Muslim, Dār al-Fikr, B.5, S.75-76; Ibn Saʿd, al-Ṭabaqāt al-Kubrā, Dār al-Ṣādir, B. 2, S.242-245
  2. Ibn Ḥanbal, Musnad al-Imam Aḥmad ibn Ḥanbal, 2008, B.2, S.45; Beyhaqī, al-Sunan al-Kubrā, Dār al-Fikr, B.9, S.207
  3. Šaraf al-Dīn, al-Murāğiʿāt, al-Mağmaʿ al-ʿĀlamī li Ahl al-Bait, S.527
  4. Ibn Abi al-Ḥadīd, ein Kommentar zu Nahğ al-Balāġa, 1378 / 1959, B.12, S.20-21
  5. Buḫārī, Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, 1401 / 1981, B.1, S.37, B.4, S.66, B.5, S.137-138, B.7, S.9
  6. Muslim, Ṣaḥīḥ al-Muslim, Dār al-Fikr, B.5, S.75-76
  7. Ibn Ḥanbal, Musnad al-Imam Aḥmad ibn Ḥanbal, 2008, B.2, S.45
  8. Beyhaqī, al-Sunan al-Kubrā, Dār al-Fikr, B.9, S.207
  9. Ibn Saʿd, al-Ṭabaqāt al-Kubrā, Dār al-Ṣādir, B. 2, S.242-245
  10. Scheich Mufīd, al-Iršād, 1372 / 1994, B.1, S.184
  11. Scheich Mufīd, Awāʾil al-Maqālāt, al-Muʾtamir al-ʿĀlamī, S.406
  12. Nuʿmānī, al-Ġaiba, 1399 / 1979, S.81-82
  13. Ibn Šahr Āšūb, Manāqib Āl Abū Ṭālib, ʿAllām, B.1, S.236
  14. Ğowharī, Muqtaḍib al-Aṯar, Maktaba al-Ṭabāṭabāʾī, S. 3
  15. Buḫārī, Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, 1401 / 1981, B.5, S.137-138; Muslim, Ṣaḥīḥ al-Muslim, Dār al-Fikr, B.5, S.76
  16. Šaraf al-Dīn, al-Murāğiʿāt, al-Mağmaʿ al-ʿĀlamī li Ahl al-Bait, S.526
  17. Šaraf al-Dīn, al-Murāğiʿāt, al-Mağmaʿ al-ʿĀlamī li Ahl al-Bait, S.520-521
  18. Šaraf al-Dīn, al-Murāğiʿāt, al-Mağmaʿ al-ʿĀlamī li Ahl al-Bait, S.527

Quellenverzeichnis

  • Ibn Abi al-Ḥadīd, ein Kommentar zu Nahğ al-Balāġa, Forscher: Muḥammad Abu al-Faḍl Ibrāhīm, Bairūt, Dār al-Iḥyāʾ al-Kutub al-ʿArabīyya, 1378 / 1959.
  • Ibn Taimīyya, Aḥmad ibn ʿAbd al-Ḥalīm, Minhāğ al-Sana al-Nabawīyya, Forscher: Muḥammad Rašād Sālim, Riad (Riyāḍ), Ğāmiʿat al-Imam Muḥammad ibn Saud al-Islāmiya, 1406 / 1986.
  • Ibn Saʿd, al-Ṭabaqāt al-Kubrā, Bairūt, Dār Ṣādir, BīTā.
  • Ibn Šahr Āšūb, Muḥammad ibn ʿAlī, Manāqib Āl Abū Ṭālib, Qum, ʿAllāma, BīTā.
  • Aḥmad ibn Ḥanbal, Musnad al-Imam Aḥmad ibn Ḥanbal, Forscher: Muḥammad ʿAbd al-Qādir ʿAṭā, Bairūt, Dār al-Kutub al-ʿIlmiyya, 2008.
  • Irbalī, ʿAlī ibn ʿIesā, Kašf al-Ġumma, Qum, al-Šarīf al-Raḍī, BīTā.
  • al-Buḫārī, Muḥammad ibn Ismāʿīl, Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Bairūt, Dār al-Ṭowq al-Nağāh, 1422 / 2001.
  • al-Buḫārī, Muḥammad ibn Ismāʿīl, Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Bairūt, Dār al-Fikr, 1401 / 1981.
  • al-Beyhaqī, Aḥmad ibn al-Ḥussain, al-Sunan al-Kubrā, Bairūt, Dār al-Fikr, BīTā.
  • Ğowharī, Aḥmad ibn Muḥammad, Muqtaḍib al-Aṯar fī Naṣṣ al-Aʾimma al-Iṯnā ʿAšar, Forscher: Loṭf Allah Ṣāfī, Qum, Maktaba al-Ṭabāṭabāʾī, BīTā.
  • Šaraf al-Dīn ʿĀmilī, ʿAbd al-Ḥussain, al-Murāğiʿāt, Qum, al-Mağmaʿ al-ʿĀlamī li Ahl al-Bait, BīTā.
  • Scheich Mufīd, Muḥammad ibn Muḥammad, Awāʾil al-Maqālāt, Forscher: Ibrāhīm Anṣārī Zanğānī, Qum, al-Muʾtamir al-ʿĀlimī li Alfiyya al-Scheich al-Mufīd, BīTā.
  • Scheich Mufīd, Muḥammad ibn Muḥammad, al-Iršād fī Maʿrifa al-Ḥuğağ Allah ʿAla al-ʿIbād, al-Muʾtamir al-ʿĀlimī li Alfiyya al-Scheich al-Mufīd, 1372 / 1994.
  • Nuʿmānī, Muḥammad ibn Ibrāhīm, al-Ġaiba, Teheran, Maktaba al-Ṣadūq, 1399 / 1979.
  • Al-Neysābūrī, Muslim ibn Ḥağāğ, al-Ğāmiʿ al-Ṣaḥīḥ (Ṣaḥīḥ al-Muslim), Bairūt, Dār al-Fikr, BīTā.
  • Al-Nūrī, Yaḥyā ibn Šaraf, Ṣaḥīḥ al-Muslim mit dem Kommentar al-Nouwī, Bairūt, Dār al-Kitāb al-ʿArabī, 1407 / 1987.