Benutzer:KarimSadegh
Kapitel 1: Einleitende Diskussionsthemen (Definitionen, Kategorien und Quellen der Koranwissenschaften)
Dieses Kapitel beinhaltet folgende Lernziele: die Schlüssel-Begriffe in den Koranwissenschaften zu verstehen; eine Einführung in die historische und schriftliche Entwicklung der Koranwissenschaften zu erhalten; die Methodologie der Koranwissenschaften zu begreifen; die verschiedenen Zweige der Koranwissenschaften kennenzulernen; sowie einen Überblick über ihre wichtigsten Quellen zu gewinnen.
Die Essenz der Koranwissenschaften Der Begriff Koranwissenschaften ist in seiner heutigen Bedeutung seit dem fünften Jahrhundert n.H. (elftem Jahrhundert n.Chr.) gebräuchlich, so die Behauptung von ‘Abd al-‘Aẓīm Zarqānī. Er gibt an, in der Bibliothek von Ägypten auf ein Werk von Alī b. Ibrāhīm Sa‘id (gest. 430 n.Chr.) namens „al-Burhān fī ‘Ulūm al-Qurān“ (البرهان فی علوم القرآن) gestoßen zu sein, das ursprünglich 30 Bände umfasste, von denen noch 15 erhalten geblieben sind. Der Ausdruck Ulūm al-Qur'ān (Koranwissenschaften) ist das persische Äquivalent von „‘Ulūm-e Qurānī“ (koranische Wissenschaften), herausgebildet aus der Kombination von Ulūm [Plural von Wissenschaft] und Qur‘ān, [dem Koran, dem heiligen Buch des Islams, jenem zeitlosen Wunder des Propheten Mohammad]. Ayatollah Mohammad Hadi Ma'refat erklärt, dass sich der Begriff Koranwissenschaften von den sogenannten koranischen Erkenntnissen unterscheide. Während erstere sich im Rahmen der äußerlichen Aspekte des Korans bewegen, konzentrieren sich die koranischen Erkenntnisse auf dessen innere Aspekte bzw. Inhalte; sie gelten als eine Art thematische Exegese des Korans.
Manche moderne Forschende auf dem Gebiet der Koranwissenschaften widmen sich ausführlich der Definition sowie den zentralen Themenbereichen dieses Fachgebiets. Der Unterschied zwischen den Begriffen Ulūm al-Qur'ān (Plural) [Koranwissenschaften] und ‘Ilm al-Qur'ān (Singular) [Koranwissenschaft] ist hierbei von Wichtigkeit. Ulūm al-Qur'ān umfasst verschiedene wissenschaftliche Diszipline, die jeweils auf spezifische Art und Weise zur Vertiefung des Verständnisses bezüglich des Korans beitragen. Diese Wissenschaften werden oft als dienende [bzw. unterstützende] Disziplineä bezeichnet. Dazu zählen unter anderem die Kunst des Schreibens (Rasm al-Ḫaṭ), die Rezitationslehre (Qirā'at), die Lehre der Offenbarungsanlässe (Asbāb an-Nuzūl), die Abrogationslehre (Nasikh wa Mansukh), grammatische Analysen (Iʿrāb al-Qurʾān), erklärungsbedürftige Begriffe im Koran (Gharīb al-Qurʾān) sowie die Lehre über die eindeutigen und mehrdeutigen Verse (muḥkam wa mutaschābih). Wissenschaftsdiszipline wie Morphologie und Syntax der arabischen Sprache, allgemein Unterstützung für das Verständnis über den Koran zu leisten, werden jedoch nicht als Teil der Koranwissenschaften befunden, da sie nicht direkt und spezifisch dem besseren Verständnis des Heiligen Buches dienen. Die Koranwissenschaften betreffen demzufolge Wissenschaften, die sich ausschließlich auf Bereiche fokussieren, die direkt und unmittelbar zur Erschließung des Inhalts des Korans beitragen. KORREKTUR
Aus linguistischer Perspektive umfasst der Begriff Koranwissenschaften alle Diszipline, die in irgendeiner Weise mit dem Koran in Verbindung stehen. Dazu zählen unter anderem Bereiche wie die Exegese (Tafsir), die verschiedenen Rezitationsweisen (Qira'at), die Gestaltungslehre der Schrift, das Wunder des Korans, die Umstände der Offenbarung (Asbab al-nuzul), die Analyse der Stellung der Wörter innerhalb der Koranverse (I'rab al-Qur'an), das Verständnis schwieriger Begriffe im Koran (Gharib al-Qur'an) sowie Religionswissenschaften, sprach- oder literaturorientierte Fachgebiete. Im weiteren Sinne umfasst der Begriff sämtliche Wissenschaften, die entweder direkt aus dem Koran abgeleitet sind oder im Dienste des Korans und seiner Zielsetzungen stehen. Diese Diszipline befassen sich mit einer vielseitigen Analyse des Korans und tragen dazu bei, sowohl bei Lesern als auch Exegeten ein tiefergehendes Verständnis der Botschaften des heiligen Textes zu ermöglichen.
Begriffe wie "Wissenschaften im Qur’an" (علوم فی القرآن), "Wissenschaften für den Qur’an" (علوم للقرآن) und "Wissenschaften um den Qur’an" (علوم حول القرآن) implizieren sowohl die Erweiterung des thematischen und erkenntnistheoretischen Spektrums dieser Disziplin als auch die präzise Abgrenzung der koranbezogenen und auf den Koran gestützten Wissenszweige.
Es steht außer Zweifel, dass die Koranwissenschaften von der Exegese getrennt und als eigenständige Disziplin anerkannt sind, deren zentraler Gegenstand der Koran selbst ist. Dabei beschäftigen sie sich mit ihm aus unterschiedlichen Blickwinkeln, wie dem Offenbarungsprozess, der Rezitation, seinem Zusammenhang mit historischen Ereignissen zur Zeit der Offenbarung, der Ein- und Mehrdeutigkeit der Verse, der Wundersamkeit des Textes sowie dessen Authentizität und Bewahrung. Dennoch bilden koranwissenschaftliche Diskussionen für einen Korankommentator eine wichtige Grundlage. Bereits frühere Gelehrte wie Tabari, Raghib Isfahani, Ibn Atiya, der Verfasser von al-Babānī oder Autoren wie Suyuti sowie auch zeitgenössische Persönlichkeiten wie Ayatollah Khoei und Ayatollah Ma'refat beachteten diesen Aspekt. Einige Gelehrte, darunter Abu’l-Futuh Razi und Faiz Kaschani, integrierten die Koranwissenschaften sogar als Einführung in ihre Exegesen. Suyuti nutzte Werke wie Al-Itqan zur Vorbereitung auf seine Kommentarschriften wie Majma al-Bahrain und Matla‘ al-Badrain. Ayatollah Khui verfasste auch ein Werk namens al-Bayan fi Tafsir al-Quran als Einleitung für seine Exegese, dessen Fertigstellung ihm jedoch verwehrt blieb. Amin al-Islam Tabarsi widmet sich in seinem bekannten Werk al-Bayan fi Tafsir al-Qur'an zunächst den Themen der Koranwissenschaften, bevor er in seinem Kommentar, der den Titel Majma al-Bayan li Ulum al-Quran Titel trägt, zu interpretativen Erläuterungen übergeht. KORREKTUR
Koran-Wissenschaften werden oft als jene Diszipline beschrieben, die sich mit den zentralen und spezifischen Merkmalen des Korans beschäftigen, wobei der Koran stets im Mittelpunkt steht. In diesem Zusammenhang werden allgemeine Fachrichtungen wie Syntax, Morphologie oder Rhetorik (Ma'ani wa Bayan) aus der Definition Koranwissenschaften ausgeschlossen, da sie zwar vom Koran beeinflusst wurden, ihn jedoch nicht direkt als Untersuchungsobjekt behandeln und daher nicht zu den eigentlichen exklusiven Wissenschaften des Korans zählen. Mitunter verstanden die Gelehrten der Vergangenheit unter dem Begriff "Koranwissenschaften" nicht nur diejenigen Wissenschaften und Themen, die direkt mit dem Koran in Verbindung stehen, sondern vor allem das Wissen, das aus dem Koran abgeleitet wird. Aus diesem Grund wurde der Umfang und die Vielfalt dieser Disziplin als unermesslich und grenzenlos angesehen.
Professor Mohammad Reza Hakimi schlägt anstelle der Bezeichnung "Koranwissenschaften" den Begriff "Koranische Literatur" für diese Art von Wissen vor. Aus seiner Sicht könnten und sollten alle menschlichen Wissenschaften und Erkenntnisse, in ihrer unendlichen Vielfalt, auf eine Art als Teil der Koranwissenschaften betrachtet werden. Dies begründet er damit, dass jeder Fortschritt in den menschlichen Disziplinen zu einem besseren Verständnis des Koran beitragen kann. Gleichzeitig unterstreicht er jedoch, dass manche Wissenschaften eine stärkere Verbindung zum Koran aufweisen, während andere in weiter entfernten Zusammenhängen stehen. Gerechterweise sollten daher die ersteren als koranische Wissenschaften oder, wie er es nennt, als "koranische Literatur" bezeichnet werden. Hakimi erläutert, dass „unter koranischer Literatur jene Wissenschaften zu verstehen sind, die aus weitreichenden und umfassenden literarischen Fragen hervorgehen und von muslimischen Denkern und Gelehrten in Kapiteln geordnet und zusammengestellt wurden, um zur Erkenntnis der unterschiedlichen Dimensionen des Wort Gottes beizutragen. Diese Wissenschaften umfassen bis zu 30 Fachrichtungen, die in islamischen Verzeichnissen wie beispielsweise im "Kaschf al-Zunun" aufgelistet sind: Die Wissenschaft der Einzelwörter oder (Mufradat), oder die Kenntnis bezüglich der Begriffe des Koran, die Wissenschaft der Ähnlichkeiten im Koran (Mutashabihat) bzw. der ähnlichen Wörter im Koran, die Kenntnis bezüglich der Antworten auf Einwände gegen den Koran (Daf‘ al-Mata‘in), das Studium schwerverständlicher Wörter des Korans (Gharib al-Quran), die Analyse sprachlicher und inhaltlicher Schmuckelemente (Bada'i‘ al-Quran), die Grammatik- und Morphologieanalyse (I‘rab al-Quran), die Schriftkunde des Koran (Kitabat al-Quran), die Erforschung seiner Wunderhaftigkeit (I‘jaz al-Quran), die Kunst des korrekten Lesens und Rezitierens (Tajwid und Qira’at), sowie die Kenntnis von ??Satzenden?? und verschiedenen Arten des Anhaltens in der Rezitation (Wuqouf al-Quran).“
..... Aus der Perspektive von Professor Hakimi stellt die Einheit der Koranwissenschaften vielmehr eine abstrakte und symbolische Gesamtheit dar. Dabei handelt es sich um ein Fachgebiet, dessen Themen aus unterschiedlichen Disziplinen bestehen und die sich auf eine spezifische Weise mit dem Koran befassen. Die reziproke Bedeutung (مدلول تضایفی) der Koranwissenschaften unterscheidet sich hierbei deutlich von ihrer späteren, terminologisch etablierten Definition. Diese Wissenschaft, die eine Vielzahl literarischer und rhetorischer Themen – darunter auch die Morphologie – einschließt, unterteilt Hakimi in zwei weitere Kategorien: die interpretative und die Übersetzungsliteratur im Kontext des Heiligen Korans.
Zu den zentralen Diskussionsfeldern der Koranwissenschaften zählen insbesondere die „Grundlagen und Prinzipien des Verstehens und der Auslegung der Verse“, die Analyse der Ursachen für Divergenzen unter den Exegeten, die „Methodiken und hermeneutischen Richtungen der Koraninterpretation“ sowie die „Grundlagen thematischer Auslegungsansätze“. Diese Bereiche überschreiten oftmals die rein historischen Fragestellungen, wie etwa unterschiedliche Lesarten oder das Konzept von Nasikh und Mansukh (abrogierende und aufgehobene Verse), welche in vielen klassischen Werken der Koranwissenschaften bislang nur eingeschränkt behandelt werden. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und des Trends zu neuen Blickwinkeln innerhalb der islamischen Theologie, der den Begriff der modernen Theologie hervorgebracht hat, stellt sich daher die Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, von modernen Koranwissenschaften zu sprechen. Dies betrifft insbesondere neue Ansätze in der Auseinandersetzung mit Orientalisten, der Analyse koranischer Zweifel, der Sprachstruktur des Korans sowie der hermeneutischen Logik des Textverständnisses.
Wie sich zeigt, variiert die Definition der Koranwissenschaften stark je nach zugrunde liegender Perspektive. Während einige sie anhand ihrer speziellen Themen und Fragestellungen bestimmen, richten andere den Fokus auf die Ziele und das notwendige Wissen, das für das Verständnis und die Interpretation des Korans unerlässlich ist. Wiederum existieren Auffassungen, die alle Disziplinen, die den Koran als zentrales Studienobjekt haben, unter dem Begriff der Koranwissenschaften zusammenfassen.