Zwölfersunnitentum

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Das Zwölfersunnitentum (Arabisch: التسنّن الاثنا عشري) ist eine religiöse Tendenz unter den Sunniten, sie glauben an die drei Kalifen wie auch an die Wilaya (den Führungsauftrag) der Imame der Schiiten. Der Boden für die Entstehung dieser Strömung wurde in den ersten Jahrhunderten des Islam in Opposition zu den Anhängern Uthmans geschaffen, die gegen Imam Ali (a.) waren. Sie verbreitete sich im sechsten Jahrhundert n.H. zuerst im Iran und in Indien, dann im östlichen Teil von Groß-Chorassan und den Gebieten des Osmanischen Kalifats.

Der Begriff „Zwölfersunnitentum“ entstand während der iranischen Geschichtsschreibung; Einige Forscher meinen, unter Berufung auf ein Manuskript, dass dieser Begriff auch in der späten Safawidenzeit Verwendung fand. Faktoren bei der Bildung des Zwölfersunnitentums waren folgende: der Sturz des abbasidischen Kalifats, die religiöse Toleranz der mongolischen Ilchane Dynastie und der timuridischen Amire, die Verbreitung des Sufismus und der Autorität der Sufis sowie die Annäherung des Sufismus an den Schiismus.

Historiker meinen, dass das Zwölfersunnitentum der Hauptgrund für die Ausbreitung des Schiitentums im islamischen Osten, insbesondere in Iran war, und der eigentliche Faktor für die Entstehung einer schiitischen Regierung unter den Safawiden. Ihnen zufolge bereitete die Existenz von Regierungen mit zwölfersunnitischen Tendenzen innerhalb des 9. und 10. Jahrhunderts n.H. den Boden für die religiöse Umwandlung der Iraner und zwar vom Sunnitentum zum Schiitentum.

Im Iran gab es daraufhin im 9. und 10. Jahrhundert n.H. Regierungen mit zwölferschiitischer Orientierung, aber auch verschiedene kulturelle Persönlichkeiten mit zwölfersunnitischer Tendenz, die in ihren Werken nicht nur die ersten drei Kalifen anerkennen, sondern auch die Imame der Schiiten als unfehlbare Authoritäten betrachten.

Definition und Position

Das Zwölfersunnitentum ist eine religiöse Tendenz unter den Sunniten, die sowohl den Glauben an die drei Kalifen als auch den Glauben an die Autorität der schiitischen Imame (a.) und an die Vier Unfehlbaren (a.) beinhaltet.[1] Das Zwölfersunnitentum war ein Hauptgrund für die Verbreitung des Schiitentums im Osten der islamischen Welt, insbesondere im Iran und das seit dem sechsten Jahrhundert n.H..[2] Zudem gilt die Verbreitung des Zwölfersunnitentums im Iran auch als Hauptursache für die Entstehung des schiitischen Safawidenstaates [3] und es heißt, dass es sich dabei um eine der wichtigsten intellektuellen und religiösen Entwicklungen im Iran handelte und ein Faktor war religiöse Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten ab dem siebten Jahrhundert n.H. zu vermindern[4]

Begrifflichkeit

Der Begriff „Zwölfersunnitentum“ gilt als neuer Titel in der iranischen Geschichtsschreibung. [5] Es heißt, dass dieser Titel in historischen Quellen nicht vorkommt; [6] aber Forscher fanden in einem Manuskript Hinweise auf die Existenz und Verbreitung dieses Begriffs in der späten Safawidenzeit (1090 n.H.).[7]

Die Anwendung und Erklärung dieses Begriffs ist einem Artikel von Mohammad Taghi Daneshpajoh (1290-1375 n.i.M), ein iranischer Forscher und Kodikologe aus dem Jahr 1344 n.H., zu entnehmen [8] und die Verbreitung sowie eine erweiterte Erörterung dieses Titels den Werken von Rasul Ja'farian.[9]

Einigen Forschern zufolge entstand das Zwölfersunnitentum etwa im 6. Jahrhundert n.H;[10] Ihre Grundlagen seien in den ersten Jahrhunderten nach dem Aufkommen des Islam entstanden und bildeten einen Gegensatz zu den Sunniten der osmanischen Religion, die an die Illegitimität des Kalifats von Imam Ali (a.) glaubten [11]. Es gab aber auch Sunniten, vor den Osmanen, die versuchten die Tugenden von Imam Ali (a.) und von anderen Mitgliedern der Ahl al-Bait (a.) zu verbreiten. Diese Leute werden in den Rijali-Büchern früherer Sunniten mit „Sunian Mutischayi'“ bezeichnet oder „die des Schiitentums verdächtige Sunniten“ genannt.[13]

Laut Jafarian führten die ideologischen Bemühungen dieser Gruppe von Sunniten während des sechsten Jahrhunderts zu einer Mäßigung innerhalb des Sunnitentums [14] und zwar Mäßigung hinsichtlich der Feindschaft gegenüber der Ahl ul Bait (a.) in Richtung der Liebe zu ihnen und das geschah durch das Verfassen von Büchern über die Tugenden der Ahl al-Bait (a.) unter den Sunniten.[15] Menschen, die auf diesem Gebiet eine Rolle spielten waren einflussreiche religiöse und wissenschaftliche Persönlichkeiten wie Ahmad b. al-Hanbal (164-241 n.H.), Gründer einer der vier sunnitischen Rechtsschulen und Muhammad b. Jarir at-Tabari (gest. 310 n.H).[16]

Einige andere Ursachen für die Entstehung des Zwölfersunnitentums wurden wie folgt angegeben: der Sturz des abbasidischen Kalifats,[17] die religiöse Toleranz der mongolischen Ilchane Dynastie[18] und der timuridischen Amire,[19] das Wachstum des Sufismus und der Autorität der Sufis [20] wie die Annäherung des Sufismus an das Schiitentum.[21]

Es heißt, dass sich diese Tendenz zuerst im Iran und in Indien und dann im östlichen Teil von Groß-Chorasan und den Gebieten des Osmanischen Kalifats ausgebreitet habe.[22] Berichtet wird auch, dass die Gründung der Safawiden-Regierung zu einer Schwächung dieser Strömung geführt habe.[23]

Zwölfersunnitentum und Politik

Laut einigen Historikern erfolgte der religiöse Wandel der Iraner vom Sunnitentum zum Schiitentum durch die Vermittlungsfunktion des Zwölfersunnitentums im Bereich der Politik und der Macht.[25] Es wird berichtet, dass es im Laufe der Zeit Regierungen mit zwölfersunnitischen Tendenzen gegeben habe und zwar innerhalb des neunten und zehnten Jahrhunderts n.H..[26]

Schon vorher, im 8. Jahrhundert n.H., gab es bei vielen lokalen Regierungen im Iran und im Irak Anzeichen für die Existenz dieser Tendenz; darunter befanden sich die ersten Herrscher von Sarbadaran. [27]

Im 9. Jahrhundert n.H. neigte sich Sultan Hossein Baiqara, ein timuridischer Herrscher, dem Zwölfersunnitentum zu, als dieser jedoch im Namen der Zwölf Imame (a.) eine Predigt halten wollte, wurde es ihm von Abdul Rahman Jami[28] und Amir Alishir Nawai verboten.[29] Während dieser Zeit prägte Jahanshah Qaraqoyunlu Münzen mit den Worten „Ali Wali Allah“ auf einer Seite und die Namen der rechtschaffenen Kalifen auf der anderen Seite.[30] Dies galt als Hinweis auf die Tendenz zum Zwölfersunnitentum.[31]

Der Verlauf der Religion der Safawiden wird so dargestellt, dass sie zunächst Sunniten waren, dann Zwölfersunniten und schließlich zum Zwölferschiitentum konvertierten.[32] Einige Historiker führen sogar Hinweise über eine solche Tendenz bei Regierungen an, die als Symbol für das Sunnitentums galten, wie etwa die osmanische Regierung.[33]

Zwölfersunnitentum im Bereich Kultur

Verschiedene Kulturschaffende vom sechsten Jahrhundert an bis zum Niedergang der Safawiden waren Anhänger des Zwölfersunnitentums.[34] Rasul Jafarian glaubt, dass ab Mitte 8. bis 10. Jahrhunderts n.H. viele Werke von den Sunniten mit Tendenzen des Zwölfersunnitentums hervorgebracht wurden;[35] verschiedene religiöse, historische und literarische Werke (Gedichte und anderes), in denen neben den rechtmäßigen Kalifen auch die schiitischen Imame unter dem Titel göttliche unfehlbare Autoritäten erwähnt werden.[36] Einige Werke der Persönlichkeiten mit zwölfersunnitischen Tendenzen sind folgende:

  • Der unbekannte Autor des Buches Mujmal al-Tawarikh wa Al-Qisas (Verfassungsjahr: 520 n.H.) soll Anhänger des Zwölfersunnitentums gewesen sein.[37] In diesem Buch befasst sich der Autor nach der Erzählung der Geschichte der Kalifen mit den Vierzehn Unfehlbaren (a.).[38]
  • Abu Muhammad Abd al-Aziz b. Muhammad al-Hanbali Junabizi (gest. 611 n.H.) verfasste das Buch die Bücher Ma'alim al-Itrat an-Nabbawiyyah wa Ma'arif Ahl al-Baital-Fatimiyyah al-Alawiyya, es ist eine Biographie der schiitischen Imame (a.) bis zum elften Imam (a.).[39]
  • Muhammad b. Yusuf Ganji Schafi'i (gest.: 658 n.H.) verfasste das Buch Kifaya at-Talib, es handelt von den Tugenden Imam Alis (a.) und der Ahl al-Bait (a.).[40]
  • Hamdullah Mostawfi (gest. nach 750 n.H.) stellte in seinem Werk Tarikh Gozideh die Biographie der Kalifen und die der Imame (a.) zusammen und stellte die schiitischen Imame als „unfehlbare Imame“ vor [41] „Hujjat al-Haqq‘ ala al-Khalq“.[42] [43]
  • Schams ad-Din Muhammad Zarandi al-Hanafi (gest. etwa 750 n.H.) verfasste das Buch Nazm Durar as-Simtain wa Ma'araj al-Wusul ila Ma'rifat Fazl Al-i ar-Rasul.[44]
  • Khaju-ie Kermani (gest. 753 n.H.) lobte in seinen Gedichten die zwölf Imame (a.), während er sich vom Schiitentum lossagte.[45]
  • Abd al-Rahman Jami (817-898 n.H.), ein hanafitischer Dichter und Naqschbandi-Sufi, der sich in seinen Werken pessimistisch über Schiiten äußerte, zeigte sich jedoch gegenüber den schiitischen Imamen (a.) hingebungsvoll.[46]
  • Mulla Husain Wa'iz Kaschifi (gest. 910 n.H.) in seinen Werken[47], darunter Rowzat asch-Schuhada, was als Zeichen dafür gilt, dass das Trauern um Imam al-Husain (a.) beim Zwölfersunnitentum weit verbreitet war.[48]
  • Fazlullah b. Ruzbahan Khunji asch-Schafi'i (gest.: 930 n.H.) gab in der Beschreibung seines Werkes Wasilat al-Khadim ila al-Makhdum das Segnungsbittgebet für die Vierzehn Unfehlbaren (a.) an.[49]
  • Schams ad-Din Muhammad b. Tulun (gest. 953 n.H.) verfasste das Werk asch-Schazarat adh-Dhahabiyyah fi Tarajim al-A'imat al-Athna Aschara inda al-Imamiyah.[50]
  • Schahab ad-Din Ahmad b. Hajar Haitami sch-Schafi'i (909-974 n.H.) erörterte die Tugenden der Ahl al-Bait (a.) in as-Sawa'iq al-Muhariqa, wobei das Buch allerdings zur Widerlegung des Schiitentums geschrieben wurde.[51]
  • Jamal ad-Din Abdullah b. Muhammad Schabrawi (1092-1172 n.H.) verfasste das Werk al-Ithaf Bihubb al-Aschraf.[52]
  • Sulaiman b. Ibrahim Qunduzi al-Hanafi (1220-1294 n.H.) verfasste Yanabi al-Mawassa [53] und
  • Mu'min b. b. Hasan Schablanji asch-Schafi'i (1250-1308 n.H.) Nur al-Absar.[54]