Wilayat al-Faqih

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Wilayat al-Faqih (Arabisch: ولاية الفقيه) (Statthalterschaft des Rechtsgelehrten) ist eine These innerhalb der schiitischen Rechtslehre, wonach in der Zeit der Verborgenheit Imam al-Mahdis (aj.) die Herrschaft dem Rechtsgelehrten zuzuschreiben ist, dessen Bedingungen erfüllt sind. Die historische Wurzel dieser These geht bis in die Zeit des Propheten (s.) zurück. Rechtsgelehrte wie Scheich al-Mufid und Muhaqqiq Karaki sprachen über die Herrschaftsbefugnisse der Rechtsgelehrten. Mulla Ahmad Naraqi zählt zu den ersten Rechtsgelehrten, der alle Befugnisse und Pflichten des Rechtsgelehrten unter dem Titel Wilayat al-Faqih vereinte. Der Theorie Wilayat al-Faqih zufolge liegt die Authorität über die Angelegenheiten der islamischen Gesellschaft beim führenden Rechtsgelehrten (wali faqih). Kashif al-Qita, Muhammad Hasan Najafi und Imam Khomeini sind Befürworter dieser Ansicht und Scheich al-Ansari, Akhund Khorasani und Ayatullah Khui sind deren Gegner.

Maqbula Umar b. Hanzalah (eine anerkannte Hadithe von Umar b. Hanzalah) ist ein auf Textquellen basierter Grund, worauf sich die Befürworter der Theorie der Wilayat al-Faqih beziehen. Dieser Überlieferung zufolge darf man bei Streitigkeiten nur jemanden als hakam (Richter) auswählen, der von der Ahl al-Bait Hadithe überliefert und sich mit den islamischen Rechtsurteilen auskennt. Die Notwendigkeit für einen wissenden und gerechten Herrscher zur Ausführung der göttlichen Gesetze in der Gesellschaft ist eine der rationalen Gründe, worauf sich die Befürworter der Wilayat al-Faqih stützen. Es wurden verschiedene Bücher und Artikel über Wilayat al-Faqih verfasst. Welayat-e Faqih von Imam Khomeini und Welayat-e Faqih, Welayat-e Feqahat wa Edalat von Ayatullah Jawadi Amoli sind einige davon.

Definition

Wilayat al-Faqih bedeutet gemäß der von den Rechtsgelehrten vorgelegten Definitionen Vormundschaft, Dominanz und tasaruf des allseitig kompetenten Mujtahids in den Angelegenheiten anderer [1] und mit anderen Worten die Verwaltung der Islamischen Gesellschaft zur Ausführung der islamischen Gesetze und Realisierung der religiösen Werte.[2] Wilayat al-Faqih ist eine Theorie innerhalb der politischen Rechtslehre der Schia, wonach während der Verborgenheit Imam al-Mahdis (a.) die Herrschaft über die muslimische Gesellschaft dem allseitig kompetenten Rechtsgelehrten zukommt.[3]

Geschichte

Einige Autoren sehen in Mulla Ahmad Naraqi (gest. 1245 n.H.) den ersten Rechtsgelehrten, der die Wilayat al-Faqih als eine Rechtsfrage erörterte und sich bei der Beweisführung auf rationale sowie textquellen-basierte Gründe bezieht.[4] Es heißt, er wäre derjenige gewesen, der zum ersten Mal die gesamten Pflichten und Befugnisse des islamischen Herrschers und die der Wilayat al-Faqih allesamt in seinem Buch ʼAwaʼid al-Ayyam angegeben hat.[5] Allerdings sprachen schon vor Mullah Ahmad Naraqi einige schiitische Rechtsgelehrte darüber, dass manche Befugnisse der Imame durch die Rechtsgelehrten übernommen werden sollten. Beispielsweise schreibt Scheich al-Mufid, Rechtsgelehrter des vierten und fünften Jahrhunderts n.H, in seinem Buch al-Muqniʼah: Die schiitischen Imame (a.) übertrugen die Ausführung der Hadd-Strafen den schiitischen Rechtsgelehrten.[6] Ebenfalls war laut Rasul Jaʼfarian, zeitgenössischer Geschichtschreiber, Muhaqqiq Karaki, ein Gelehrter des zehnten Jahrhunderts, im Glauben, dass die Rechtsgelehrten auch die Regierungsbefugnisse der unfehlbaren Imame innehaben.[7] Nach Mulla Ahmad Naraqi diskutierten Jaʼfar Kashif al-Qitaʼ [8] und sein Schüler Muhammad Hasan Najafi die Theorie der Einsetzung der Rechtsgelehrten und ihre Statthalterschaft (Wilayat) und Befugnisse.[9] Sie betrachteten die Herrschaft eines Königs und Sultans ohne Billigung der Rechtsgelehrten für illegitim und waren der Überzeugung, wenn die Bedingungen für einen Rechtsgelehrten gegeben sind, so ist es eine Pflicht, dass er eine Regierung bildet.[10]

Im Hinblick auf den Brief von Imam al-Mahdi (aj.) verweist er auf „al-hawadith al-waqia“ also auf Vorfälle, und es heißt, die Muslime sollten sich bei diesen Ereignissen den Hadithüberlieferern der Ahl al-Bait (a.) zuwenden. [11] Unter Bezugnahme auf diese Überlieferung schlussfolgert Imam Khomeini, alle Angelegenheiten der muslimischen Gesellschaft seien den Rechtsgelehrten anzuvertrauen.[12] Sahib Jawahir zählt zu den Rechtsgelehrten, die der Wilayat al-Faqih zustimmen und behauptet dahingehend, sollte jemand aus den verschiedenen Aussagen der Imame (a.) bezüglich der Befugnisse, die sie den Rechtsgelehrten zuweisen (beispielsweise als Herrscher, Richter, Hujjat (Beweis) und Kalif) die Wilayat al-Faqih nicht herauslesen können, den Geschmack der islamischen Rechtslehre nicht im Geringsten gekostet habe und in Bezug auf die geheimnisvollen Worte der Imame (a.) ignorant sei, denn diese Aussagen implizieren, dass in der Zeit der Verborgenheit die Angelegenheiten der Schiiten Ordnung zu finden haben. Für ihn galt die Frage der Wilayat al-Faqih als so deutlich und selbstverständlich, dass sie keiner Argumente bedarf. Sogar schrieb er den Gegnern zu, von Einflüssterungen heimgesucht zu sein. Rational begründet wird u.a., dass das soziale Leben des Menschen und seine individuellen und spirituellen Vollkommenheiten nicht nur ein göttliches, unfehlbares und mangelfreies Gesetz braucht, sondern auch einen wissenden und gerechten Herrscher. Mangels dieser beiden Grundsteine überkomme dem sozialen Leben Chaos, Korruption und Verderbnis. Dieses Ziel wird in der Zeit der Propheten und Imame durch sie selbst realisiert und in der Zeit der Verborgenheit durch den Wali al-Faqih.[13]

Ernennung oder Zur-Wahl-gestellt

Die Befürworter des Konzeptes der Wilayat al-Faqih sind sich über dessen Legitimationsart uneinig. Einige von ihnen sehen die Wilayat al-Faqih als eine Ernennung an, wobei andere sie als eine Auswahl verteidigen.

Wilayat al-Faqih, eine Ernennungsangelegenheit

Dieser Ansicht nach liegt die Legimitation der Wilayat al-Faqih bei politischen Angelegenheiten darin, dass die Imame die Verwaltung der religiösen und sozialen Angelegenheiten und die politische Leitung der Gesellschaft den gerechten Rechtsgelehrten übertragen haben und die Stimme und der Wille des Volkes bei der Legimitation der Wilayat der Rechtsgelehrten keine Auswirkung hat.[14] Imam Khomeini,[15] Abdullah Jawadi Amuli, Muhammad Muʼmin Qummi und Muhammad Taqi Misbah Yazdi sind Befürworter dieser Theorie.[16]

Absolute Wilayat al-Faqih

Einige, welche die Ansicht vertreten, dass Wali al-Faqih eine Bestimmungsangelegenheit ist, glauben an die absolute Wilayat al-Faqih, d.h. dass der Rechtsgelehrte über alle Befugnisse des Propheten (s.) und der Imame (a.) bei politischen Belangen verfügt, denn das Ziel ist die Ausführung des Religionsgesetzes und in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen den Herrschern.[17] Darüber hinaus unterliegt der Legitimät menschlicher Gesetze die Zustimmung des Wali al-Faqih, und das Gesetz kann den Wali al-Faqih nicht einschränken, die Anordnungen des Wali al-Faqih gelten als Gesetz.[18] Es heißt, dass Imam Khomeini diese Ansicht das erste Mal aufgeworfen habe.[19]

Wilayat al-Faqih als Wahlangelegenheit

Laut dieser Ansicht hält man die Abstimmung des Volkes für einen Teil des Grundes der Legimitation der Wilayat al-Faqih und erachtet dies für notwendig.[20] Bei dieser Betrachtung wird an der Absolutheit der Wilayat al-Faqih gekratzt.[21] Shahid Beheschti, Shahid Motahhari, Husainali Muntazeri und Niʼmatullah Salihi Najafabadi sind Befürworter dieser Vorstellung.[22]

Gegner

Scheich Ansari, Akhund Khorasani,[23] Mirza-ie Naini und Ayatullah Khui[24] zählen zu den Gegnern der Wilayat al-Faqih.[25] Laut der Fatwa von Scheich Ansari kommt die Verantwortung bei Angelegenheiten wie das Erlassen von Fatwas und das Richten in der Zeit der Verborgenheit den Rechtsgelehrten zu,[26] aber die Wilayat bezüglich des Vermögens und des Lebens des Volkes gehört speziell dem Propheten (s.) und der Imame (a.).[27] Er hält die Argumente zur Beweisführung bezüglich der Wilayat al-Faqih wie die Maqbula Umar b. Hanzalah und den Brief von Imam Zaman für falsch.[28] Seiner Ansicht nach implizieren diese Überlieferungen lediglich die Pflicht eines Rechtsgelehrten bei der Vermittung der islamischen Gesetze für die Menschen beizutragen und habe nichts mit der Wilayat selbst in Belangen wir Khoms und Zakat zu tun.[29]

Theologische oder rechtswissenschaftliche Frage

Einige denken, dass Wilayat al- Faqih eine theologische Frage ist und andere sagen, es sei eine rechtswissenschaftliche Frage.[30] Jawadi Amoli glaubt, dass Wilayat al-Faqih eine theologische Angelegenheit ist. Sein Begründung ist, dass das Thema der Theologie die Tat Gottes ist und Wilayat al-Faqih sich auf die Tat Gottes bezieht; weil Gott bestimmt hat, dass in Abwesenheit von Propheten (s.) und Imamen (a.) der Faqih Autorität in der Gesellschaft hat.[31] Andererseits untersuchte Husain Ali Muntaziri die Diskussion um Wilayat al-Faqih im Rahmen der islamischen Rechtswissenschaft und bezeugte, dass viele Juristen diese Frage in rechtswissenschaftlichen Büchern untersucht haben.[32]

Wilayat al-Faqih in der Islamischen Republik Iran

Nach der Islamischen Revolution im Iran im Jahr 1357 HS wurde die Wilayat al-Faqih dem Verfassungsrecht der Islamischen Republik Iran hinzugefügt. In Artikel 57 dieses Gesetzes heißt es: Die in der Islamischen Republik Iran der Leitung dienenden Befugnisse sind: die Legislative, die Exekutive und die Judikative, die unter der absoluten Autorität des Imams und des Imamats der Umma in Übereinstimmung mit den Grundsätzen dieses Gesetzes ausgeübt werden.[33] In der Islamischen Republik Iran waren Imam Khomeini und nach ihm Ayatollah Khamenei als oberste Führer am Ruder.[34]

Fußnoten

  1. Siehe, Scheich al-Ansari, al-Makasib, 1415 n.H., B.3, S.545.
  2. Siehe: Muntaziri, Darasat fi wilayat al-faqih, 1409 n.H., B.1, S.11; Jawadi Amoli, Welayat Faqih, 1378 n.i.S., S.129.
  3. Farahi, Nezam-e siyasi wa dolat dar eslam, 1386 n.i.S., S.242-243.
  4. Kadiwar, Nazarieha-ie dolat das feqh schi’e, 1387 n.i.S., S.17.
  5. Siehe: Naraqi, ‘Awa’id al-ayyam, 1417 n.H., S.529.
  6. al-Mufid, al-Mugni’a, 1413 n.H., S.810.
  7. Ja’farian, Din wa siyasat dar dore-ie safawi, 1370 n.i.S., S.32, S.312.
  8. Kaschif al-Ghita’, Kaschf al-Ghita’, 1422 n.H. B.1, S.207; Firahi, Qodrat-e danesch maschru’iat da islam, 1394 n.i.S., S.313.
  9. Siehe: Najafi, Jawahir al-Kalam, 1404 n.H.,B.21, S.395-396.
  10. Montazeri, Mabani feqhi hokumat-e eslami, 1409 n.H., B.1, S.47-48.
  11. Scheich as-Saduq, Kamal ad-din, 1395 n.H., B.2, S. 484.
  12. Siehe: Imam Khomani, Ruhullah, Kitab al-bai’, 1421 n.H., B.2, S.635; Imam Khomeini, Welayat Faqih, 1374 n.i.S., S.78-82.
  13. Jawadi Amoli, Welayat Faqih, 1378 n.i.S., S.151.
  14. Naraqi, ‘Awa’id al-Ayyam, S.185; Imam Khomaini, Kitab al-bai’, 1421 n.H., B.2, S.622.
  15. Kadiwar, Nazarieha-ie dolat dar feqh schi’eh, 1387 n.i.S., S.107.
  16. Firahi, Qodrat-e danesch maschru’iat da islam, 1393 n.i.S., B.2, S.424.
  17. Imam Khomani, Ruhullah, Kitab al-bai’, 1421 n.H., B.2, S.626
  18. Imam Khomaini. Sahife Emam, 1378 n.i.S., B.1, S.17.
  19. Kadiwar, Nazarieha-ie dolat dar feqh schi’eh, 1387 n.i.S., S.24.
  20. Muntaziri, Nizam al-hukm fi al-islam, 1385 n.i.S, S.143, S.166-169; Salihi Najafabadi, Welayat Faqih, 1378 n.i.S., S.68, 72.
  21. Motahhari, Peyramun Jumhuri eslami, 1368 n.i.S., 149-156; Muntaziri, Nizam al-hukm fi al-islam, 1385 n.i.S, S.143, S.214-224.
  22. Firahi, Feqh wa siyasat da iran mo’aser, 1393 n.i.S., B.2, S.380; Kadiwar, Nazarieha-ie dolat dar feqh schi’eh, 1387 n.i.S., S.141.
  23. Kadiwar, Nazarieha-ie dolat dar feqh schi’eh, 1387 n.i.S., S.36.
  24. Kadiwar, Nazarieha-ie dolat dar feqh schi’eh, 1387 n.i.S., S.36.
  25. Firahi, „Schi’e wa demukrasi maschwerati da iran“, S. 139 und 141.
  26. Scheich al-Ansari, al-Makasib, 1415 n.H., B.3, S.545.
  27. Scheich al-Ansari, al-Makasib, 1415 n.H., B.3, S.546.
  28. Scheich al-Ansari, al-Makasib, 1415 n.H., B.3, S.551-553.
  29. Scheich al-Ansari, al-Makasib, 1415 n.H., B.3, S.553.
  30. Mo’men Qumi, Jajegah ahkam hokumati wa ekhtiyarat wali faqih, 1393 n.i.S., S.15.
  31. Jawadi Amoli, Welayat Faqih, 1378 n.i.S., S.143.
  32. Muntaziri, Nizam al-hukm fi al-islam, 1380 n.i.S., S.143.
  33. «قانون اساسی جمهوری اسلامی ایران»، وبگاه مرکز پژوهش‌های مجلس شواری اسلامی، تاریخ بازدید ۳ شهریور ۱۳۹۸.
  34. Welayati, „Khamenei, Ayatollah Sayyid Ali“, S.689.

Quellenverzeichnis

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