Gottvertrauen
Gottvertrauen (Arabisch: توکل) ist eine moralische Tugend und eine Phase des mystischen Weges und bedeutet die Angelegenheiten Gott zu überlassen und auf Ihn zu vertrauen. Es bedeutet, Gott als die einzige wahre Kraft anzuerkennen, die unbestreitbar wirkt. Der Koran hebt hervor, dass Gottvertrauen eine Grundvoraussetzung für den Glauben darstellt. In den Hadithen wird das Gottvertrauen als eine der Säulen des Glaubens betrachtet. Für einige Ethiker ist die innere Haltung des Menschen vor und nach dem Erwerb oder Verlust von Eigentum ein Hinweis darauf wie stark das Vertrauen in ihm verankert ist. Die höchste Form von Gottvertrauen besteht darin, dass jemand all seine Angelegenheiten Gott überlässt und sich mit dem zufrieden gibt, was Gott für ihn bestimmt. Der Grad von Gottvertrauen variiert dabei je nach Stärke des Glaubens an den Monotheismus, den der Einzelne hat.
Ethische Gelehrte betonen, dass im Islam Gottvertrauen nicht im Widerspruch steht zu Anstrengungen, die mit dem praktischer Monotheismus verbunden sind. Äußere Ursachen haben ohne Gottes Bestimmung und Macht keine unabhängige Wirkung, somit hängt ihre Wirksamkeit allein von Gottes Wille und von Seiner Macht ab. Gottvertrauen hat zahlreiche positive Effekte, wie ausreichender Lebensunterhalt, Erleichterung der Angelegenheiten und Ehre in den Augen anderer Menschen.
Definition
Gottvertrauen bedeutet seine Unfähigkeit bezüglich einer Sache zu äußern und jemand anderem zu vertrauen.[1] Laut Muhammad Mahdi al-Naraqi, in seinem Werk Jami' al-Sa'adat, ist Gottvertrauen in der Religionskultur Gott als die einzig wirkende Kraft im Universum anzuerkennen, woraufhin man sich nur auf Ihn verlässt, die Hoffnung auf alles andere aufgibt und Ihm die Kontrolle über sein Leben überlässt.[2]
Allamah Tabatabai interpretierte Gottvertrauen ähnlich, indem er Gott als die einzige wirkliche Kraft in allen Belangen definiert.[3] In Ma'ani al-Akhbar überliefert Scheich as-Saduq einen Hadith des Propheten (s.), der besagt, dass Gottvertrauen darin besteht sich bewusst zu machen, dass die Geschöpfe für einen selbst weder Nutzen noch Schaden bringen können und dass man allein auf Gott setzen, niemanden außer Ihm fürchten und nur für Ihn arbeiten sollte.[4]
In dem Buch Akhlaq dar Quran steht geschrieben, dass die Essenz des Gottvertrauens darin besteht beim "Inneren Vertrauen zu Gott sich bei allen Angelegenheiten von allem anderen als Gott zu lösen", und dass dies nicht im Widerspruch dazu steht physische Mittel und Aktivitäten sowie rationale Überlegung zu nutzen.[5]
Die Beziehung zwischen Tawakkol, tafwiz, riza und taslim
Tawakkol ist eng mit Tafwiz verbunden. In seinem Buch al-Kafi erwähnt al-Kulaini einige Hadithe über Tafwiz und Gottvertrauen in Kapitel "Bab al-Tafwidh ila Allah wa at-Gottvertrauen 'alai".[6] Abd al-Razzaq Kashani, ein berühmter schiitischer Mystiker, gestorben 735 n.H.,[7] "Gottvertrauen, ein Zweig von Tafwiz".[8] Laut Imam Khomeini in seinem Scharh Chehel Hadith (Arba'in-Hadithen) liegt der Unterschied zwischen Gottvertrauen und Tafwiz darin, dass der Mensch sich machtlos betrachtet und nur Gott als wirkende Kraft auf die Dinge ansieht, während man beim Gottvertrauen in Gott seinen Anwalt sieht, welcher ihm hilft Gutes und Nützliches zu erhalten.[9]
Gottvertrauen ist auch eng verbunden mit anderen moralischen Tugenden wie Riza (Zufriedenheit mit Gottes Willen) und Taslim (Ergebenheit). Den Mystikern zufolge ist die Stufe von Riza und Taslim höher als die des Gottvertrauens.[10] Beim Gottvertrauen betrachtet der Mensch Gott als den Anwalt seines Lebens und leugnet nicht seine Zugehörigkeit bei weltllichen Angelegenheiten, während er bei Riza[11] und Ergebenheit[12] sich mit dem, was Gott bestimmt hat zufrieden gibt, sogar wenn das nicht seinem eigenen Willen entspricht.
Bedeutung und Stellenwert
Gottvertrauen und verwandte Begriffe kommen im Koran insgesamt 70 Mal vor.[13] An mehreren Stellen wird im Koran das Thema Gottvertrauen erörtert.[14] In einigen Versen wird das Gottvertrauen sogar als Grundvoraussetzung für den Glauben betrachtet.[15] Beispielsweise werden in Vers 2 der Sure al-Anfal die Gläubigen als diejenigen beschrieben, die allein auf ihren Herrn vertrauen. In vielen weiteren Versen wird "wa 'ala Allah falyatawakkal al-mu'minun" (Und auf Allah sollen sich die Gläubigen verlassen.) verwendet.[16] Laut den Versen des Koran liebt Gott jene, die ihm vertrauen,[17] und wer auf Gott vertraut, dem wird Er genügen.[18] Einige Verse über Gottvertrauen (wie die Verse 49 und 61 der Sure al-Anfal und Vers 51 der Sure al-Tawba) befassen sich mit Dschihad und dem Kampf gegen die Ungläubigen, ebenso wie mit dem Frieden und der Aufnahme politischer Beziehungen zu ihnen, sowie der Haltung und dem Verhalten der Heuchler.[19]
In den Hadithen wird das Gottvertrauen ebenfalls für entscheidend erachtet und empfohlen.[20] Ein Hadith von Imam 'Ali (a.) beschreibt das Gottvertrauen neben Tafwiz, Riza und Ergebenheit und den Geboten Gottes als eine der vier Säulen des Glaubens.[21] Laut einem Hadith von Imam ar-Riza (a.) ist das Vertrauen auf Gott eines der Elemente der Gewissheit.[22] In dem Hadith über die Soldaten der Vernunft und über die Unwissenheit von Imam al-Sadiq (a.) wird das Gottvertrauen als ein Soldat der Vernunft gegen die Gier angesehen.[23]
Ethiklehrer betrachten das Gottvertrauen als eine Phase des mystischen Weges[24] und als einen der Grundsteine des moralischen Verhaltens.[25]
Stufen und Ränge
In den moralischen und mystischen Quellen werden die Stufen des Gottvertrauens erwähnt. Diese Bücher beschreiben das Gottvertrauen als einen Prozess, der in drei verschiedene Stufen unterteilbar ist:[26]
- Erster Grad: Auf dieser Stufe vertraut der Mensch Gott ähnlich wie man einem Anwalt vertraut.[27] Laut Mulla Muhammad Mahdi Naraqi ist diese Ebene die schwächste Form des Gottvertrauens.[28]
- Zweiter Grad: Auf dieser Stufe verhält sich der Mensch Gott gegenüber wie ein Kind zu seiner Mutter – es kennt keinen anderen Schutz und vertraut niemandem außer ihr. Der große Unterschied zur ersten Stufe ist, dass der Mensch hier ausschließlich der Person seine Aufmerksamkeit schenkt, die er vertraut, ohne seine Aufmerksamkeit auf das Vertrauen selbst zu richten.[29] Ethik-Gelehrte sehen diesen Grad des Gottesvertrauens als etwas Besonderes an, das nur wenigen vorbehalten ist.[30]
- Dritter Grad: Laut der Ethik-Gelehrten hält sich der Mensch auf dieser Stufe für leblos in den Händen eines Totenwäschers – er hat keine Kontrolle über sich selbst und bewegt sich nur durch Seinen Willen.[31] Diese Stufe unterscheidet sich von der vorherigen insofern, dass obwohl der Mensch in dieser Phase das Flehen und Bittgebet nicht aufgibt, könnte er es dennoch hinter sich lassen, da er auf Gottes Bestimmung vertraut.[32] Naraqi betrachtet diesen Grad als die höchste Form des Gottvertrauens und hält dessen Erlangung für äußerst selten. Ihm zufolge war das Gottvertrauen des Propheten Ibrahim (a.), als er ins Feuer geworfen wurde, dieser Art.[33]
Laut al-Naraqi in Jami' al-Sa'adat wird klar dargelegt, dass das Vertrauen der Menschen unterschiedlich ist und stark von ihrem Grad an Gewissheit und Monotheismus Glaubens abhängt. Je stärker der Glaube, desto höher das Gottvertrauen.[34]
Der Weg zum Rang des Gottvertrauens
Laut Muhammad Mahdi Naraghi ist der Monotheismus der Weg zur Erlangung des Gottvertrauens, auch die Stärkung des Glaubens eines Menschen geht nur über den Monotheismus. Das bedeutet, man sieht alle Angelegenheiten in den Händen Gottes und das andere außer ihm keinen Einfluss nehmen können.[35] Er rät außerdem, sich mit der eigenen Schöpfung auseinanderzusetzen, über die Verse im Koran nachzudenken, die sich mit Gottvertrauen befassen, und die Geschichten von Menschen zu studieren, die ihr Vertrauen in Gott setzten.[36]
Laut Naraghi zeigt sich wahres Gottvertrauen darin, dass man sich von den materiellen Dingen, bei Verlust oder Gewinn, nicht beeinflussen lässt.[37]
Auswirkungen des Gottvertrauens
In verschiedenen Versen des Koran und in den Hadithen wird auf die Bedeutung des Gottvertrauens hingewiesen. So wird in Vers 3 der Sure al-Talaq gesagt, dass jeder, der auf Gott vertraut, Er ihm genügen wird. In einigen Hadithen, die diesen Vers zitieren, wird die positive Auswirkung des Gottvertrauens betont.[38] Ein Hadith von Imam Ali (a.) besagt: "Wer auf Gott vertraut, dem werden Schwierigkeiten leichter fallen, und die notwendigen Mittel werden ihm zur Verfügung gestellt."[39]
Ethiker berufen sich auf den Vers "Wer sich aber auf Allah verläßt, – so ist Allah Allmächtig und Allwissend."(وَ مَنْ يَتَوَكَّلْ عَلَى اللَّهِ فَإِنَّ اللَّهَ عَزيزٌ حَكيمٌ)[40] und sind der Ansicht, dass ein gottvertrauender Mensch sich gegenüber anderen nicht erniedrigt fühlt.[41] In einem Hadith von Imam ar-Riza (a.) heißt es, dass jeder, der der stärkste Mensch sein möchte auf Gott vertrauen muss.[42]
Die Beziehung zwischen Tawakkol und Anstrengung
Laut Ghazali und Mohammad Mahdi Naraghi betrachten einige das Gottvertrauen als eine Art Untätigkeit und Verzicht auf Arbeit und Anstrengung.[43] Faiz al-Kaschani entgegnete dieser Vorstellung, dass im Islam Vertrauen und harte Arbeit Hand in Hand gehen.[44]
Im Tafsir Nemune wird hervorgehoben, dass auf äußere Ursachen und Mittel sich zu verlassen nicht mit dem praktischer Monotheismus einhergeht, denn diese haben keine unabhängige Wirkung; alles geschieht im Rahmen der Macht Gottes und Seiner Vorsehung.[45] In vielen Hadithen wird empfohlen, neben dem Gottvertrauen auch natürliche Mittel zu nutzen. So wurde vom Propheten (s.) überliefert, binde die Kniee deines Kamels und vertraue dann auf Gott.[46]
Fußnoten
- ↑ Ibn Fares, Mu'jam Maqais al-Logha, B.6, S.136
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.218-219
- ↑ Tabatabaee, Al-Mizan, B.19, S.78
- ↑ Saduq, Ma'ani al-Akhbar, S.261
- ↑ Makarim Shirazi, Akhlaq dar Quran, B.2, S.265-266
- ↑ Kulaini, Al-Kafi, B.2, S.63
- ↑ Tehrani, Al-Zaria, B.14, S.88
- ↑ Kashani, Scharh Manazil as-Sa'irin, S.98
- ↑ Khomeini, Scharh Chehel Hadith, S.217
- ↑ Kashani, Scharh Manazil as-Sa'irin, S.94-98
- ↑ Khomeini, Scharh Chehel Hadith, S.217
- ↑ Tusi, Akhlaq Naseri, S.80
- ↑ Mahruzadeh, Rabeteye Tawakkol wa Tawassol be Asbab, S.64
- ↑ Sure Molk, Vers 29; Sure Yunus, Vers 84; Sure Maide, Vers 23; Sure Schaura, Vers 36; Sure Nahl, Vers 99; Sure Anfal, Vers 2
- ↑ Sure Al Imran, Vers 122; Sure Maide, Vers 23; Tabatabaee, Al-Mizan, B.19, S.188
- ↑ Sehen Sie: Sure Al Imran, Verse 122-160; Sure Maida, Vers 11; Sure Tauba, Vers 51; Sure Ibrahim, Vers 11; Sure Taqabon, Vers 13; Sure Mojadelah, Vers 10
- ↑ Sure Al Imran, Vers159
- ↑ Sure Talaq, Vers 3
- ↑ Montazeri, Dirasat fi Wilayat al-Faqih, B.2, S.20,721,728; Khomeini, Thalath Rasail, S.41; Eine Gruppe von Forschern, Jihad dar Ayene Koran, B.1, S.96; Tabatabaee, Al-Mizan, B.9, S.99,117,306
- ↑ Sehen Sie: Kulaini, Al-Kafi, B.2, S.63-65; Majlisi, Bihar al-Anwar, B.68, S.135,138,143,147,153
- ↑ Kulaini, Al-Kafi, B.2, S.47
- ↑ Kulaini, Al-Kafi, B.2, S.52
- ↑ Kulaini, Al-Kafi, B.1, S.21
- ↑ Kashani, Scharh Manazil as-Sa'irin, S.94
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.220
- ↑ Sehen Sie: Ghazali, Ihya Ulum ad-Din, B.4, S.278-288; Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.408; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.408; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.408; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.408; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.409; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.409; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.223-224
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.229-230
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.231-232
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.231-232
- ↑ Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.232
- ↑ Kulaini, Al-Kafi, B.2, S.63-65
- ↑ Amodi, Qurar al-Hikam, S.197
- ↑ Sure Anfal, Vers 49
- ↑ Ghazali, Ihya Ulum ad-Din, B.4, S.260
- ↑ Fiqh ar-Riza, B.1, S.358
- ↑ Ghazali, Ihya Ulum ad-Din, B.4, S.282; Naraqi, Jami' al-Sa'adat, B.3, S.226
- ↑ Feiz Kashani, Al-Mahajjat al-Baiza, B.7, S.413
- ↑ Makarim Shirazi, Tafsir Nemune, B.10, S.297
- ↑ Tabrisi, Mishkat al-Anwar, S.319-320